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Beitrag 7638172 , Raketengleiter: technische Dokumentation [Alter Beitrag17. Mai 2016 um 02:33]

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Hallo Leute,

hier beschreibe ich mal die Technik meines aktuellen Raketengleiters inklusive Booster und Startrampe. Videos und Bilder von Flügen gibts im anderen Thread unter Multimedia.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Teil 1: bodengebundene Systeme (Startrampe u.ä.)
Teil 2: primäre Flugsysteme (Antrieb, Stufentrennung)
Teil 3: sekundäre Flugsysteme (Bergung, Aerodynamik)

Einleitung

Dieses Projekt (genannt: Aerodynamic Transportation System oder ATS oder Aero Shuttle) basiert sehr stark auf der Technik meiner dreistufigen Parabelflugrakete, an der ich 2004 bis 2007 gearbeitet hatte. Dazu gehören u.a. die geklebten Tanks (mit meiner Variante der verbreiteten Symmetrical Splice Technique oder SST, von mir als Direct Splice Technique oder DST bezeichnet), die Schwerkraft-/Beschleunigungs-gesteuerte Stufentrennung (Gravity Triggered Staging oder GTS), die Clustertechnik für Booster mit 20mm-Düsen mit entsprechendem Dichtsystem, 20mm-Launch-Tubes sowie ferngesteuerter Startkupplung und das ferngesteuerte Druckverteilungs- und Kontrollsystem (Pressure Distribution & Control, oder PDC) mit Startabbruch-Funktion. Im Unterschied zu damals werden jetzt viele deutlich billigere und einfacher erhältliche Teile und Materialien verwendet, aber das Prinzip ist das gleiche geblieben. Die resultierende Rakete und Startrampe ist relativ klein und leicht transportabel (statt eines vierrädrigen, geländegängigen Fahrgestells ist nun nur noch ein größerer Rucksack und zwei Hände zum Transport von Rakete und Ausrüstung notwendig).

Eckdaten des Projekts:
Spannweite des Gleiters: 66,6 cm
Leergewicht des Gleiters: 840 g
(davon sind 170 g Nutzlast)
Tankvolumen des Gleiters: 1,0 l
(davon 0,5 l Wasser)
gemessene Sinkgeschwindigkeit: 3 m/s vertikal bei 10 m/s horizontaler Geschwindigkeit

Leergewicht der Booster: 830 g
(inklusive Fallschirme und GTS)
Tankvolumen der Booster: 2 x 2,4 l
(davon 2 x 1 l Wasser)

Simulierte Flugbahn (bei 6 bar Druck und vertikalem Aufstieg):
Geschwindigkeit nach Booster Cutoff: 21 m/s
Geschwindigkeit nach SECO: 33 m/s
Apogäum bei ca. 54 m

Teil 1: bodengebundene Systeme

Startrampe
Die Startrampe ist modular aufgebaut. Sie besteht aus einer kreuzförmigen geschweißten Stahlkonstruktion mit einem Loch oben in der Mitte, an der außen zwei oder vier Launch Tubes angeschraubt werden können. Im Moment sind es zwei - an Stelle der anderen Beiden sind Abstützungen angeschraubt.


Jede Launch Tube besteht aus einem unteren kurzen 15mm-Rohr aus Stahl und einem oberen, auswechselbaren 20mm-PVC-Rohr aus Kunststoff. Das untere Ende des Stahlrohrs ist zugeschweißt und an der Seite ist ein dünneres Rohr angeschweißt, über welches ein Druckschlauch darübergeschoben und mit einer Schlauchschelle gesichert ist. Die Druckschläuche der Launch Tubes sind an einem T-Stück angeschlossen, an dessen dritten Ende der gemeinsame Schlauch angeschlossen ist, über den die ganze erste Stufe aufgepumpt wird. Ansonsten ist noch ein Blech mit nem Loch angeschweißt, sodass man die Launch Tube an die Startrampe schrauben kann.

Die Längen der Rohre sind so gewählt, dass das PVC-Rohr möglichst tief in die verwendeten Flasche der Rakete hineinragt, aber der Flaschenhals unterhalb des PVC-Rohrs das Stahlrohr umgibt. Das Stahlrohr wird mit einem geeigneten O-Ring gegen den Flaschenhals abgedichtet. Das PVC-Rohr ist gegen das Stahlrohr mit mehreren Lagen Teflon-Dichtband abgedichtet. Auf das Stahlrohr sind mehrere Lagen Duct-Tape gewickelt, sodass der verwendete O-Ring passt. Bis zur Höhe, wo etwa der Flaschenhals endet, sind zusätzliche Lagen Duct-Tape aufgewickelt um zu verhindern, dass der O-Ring assymetrisch zu weit nach unten rutscht. Da die Launch Tubes direkt auf dem Boden stehen (der oft nass, kalt, gefroren oder von Schnee bedeckt ist) ist zur thermischen Isolaton am unteren Ende noch ein Stück Holz mit Duct-Tape angeklebt.



Ich verwende übrigens keine hochwertigen O-Ringe aus Gummi mehr. Stattdessen hab ich mir ne Packung Luftballons gekauft und von jedem Ballon den Rand abgeschnitten. Diesen kann man genausogut als Dichtring verwenden. Das Material ist deutlich weicher und elastischer also der typische O-Ring-Gummi, geht aber schneller kaputt.

Durch das zentrale Loch in der Startrampe wird von unten eine M8-Schraube geschoben. Sie hält die Rakete bis zum Start am Boden. Um die Schraube zum Start schnell und ohne viel Kraft aufdrehen zu können ist am Schraubenkopf ein hölzernes Riemenrad befestigt, dessen Durchmesser etwas kleiner ist als der Abstand zwischen den Launch Tubes. Auf das Riemenrad wird eine stabile Polyamid-Schnur aufgewickelt. Wenn man aus großer Entfernung beherzt an ihr zieht wird in einem Sekundenbruchteil die Schraube aufgedreht, sodass die Startkupplung entriegelt wird (High Performance Remote Unlock System oder HPRUS). Mit dieser Technik habe ich seit 2004 viele zwei- und vierstrahlige Cluster erfolgreich gestartet. Die Mutter zur Schraube ist Teil der Rakete und fliegt mit (siehe Teil 2).



Druckverteilungs- und Kontrollsystem (PDC)
Um die Druckluft von der Pumpe in die verschiedenen Tanks der Raketenstufen zu leiten wird ein System von Druckschläuchen, Fahrrad- und Auto-Ventilen und schnell lösbaren Druckluft-Verbindungen verwendet.



Von der Pumpe ausgehend führt erst ein ca. 10 m langer Schlauch bis kurz vor die Startrampe. Über ein T-Stück sind dann zwei Schläuche angeschlossen: einer führt direkt zur Druckluft-Verbindung der zweiten Stufe, der andere zunächst zu einem Einweg-Ventil und danach zur Druckluft-Verbindung der ersten Stufe.

Das Einweg-Ventil ist ein Fahrradventil (Blitz-Ventil), auf welches ein Ventiladapter für Autoventil-Anschlüsse geschraubt wurde, sodass man dort einen Schlauch oder einen normalen Ventil-Anschluss anbringen kann. Das Ventil ist so herum eingebaut, dass es schließt, wenn der Druck in der ersten Stufe größer ist als auf der Seite, die dem T-Stück zur zweiten Stufe zugewand ist, und andernfalls öffnet.



Die schnell lösbaren Druckluft-Verbindungen hab ich letztes Jahr entwickelt. Eine Verbindung besteht aus zwei abgesägten Fahrrad-/Autoventil-Schäften, die aufeinander gepresst werden und über eine innen hineingesteckte rohrförmige Dichtung verbunden und abgedichtet werden. Die Dichtung besteht aus einem Stück eines Kunststoff-Trinkhalms mit einer Lage Duct-Tape darüber. Damit die Dichtung beim Aufeinanderpressen nicht einknickt oder Falten bildet wird innen noch ein Stahlstift hinein gesteckt, der gerade so in die Dichtung hinein passt. In den Stift wurde eine Längsnut gesägt, um die Druckluft durchzulassen. Wenn das Gegenstück der Druckluft-Verbindung ein Autoventil ist - wie im Falle der Verbindung zur zweiten Stufe - dient der Stift auch dazu, das Ventil offen zu halten, bis die Verbindung gelöst wird. Der Anpressdruck wird von einer Klammer aufgebracht, die aus einem Stück PET gefertigt wurde (durch Erhitzung mit einem Bügeleisen). Auf beide Ventilschäfte ist jeweils ein kurzes Stück Schlauch geschoben. Die PET-Klammer umgreift mit beiden Enden das eine Stück während sie mittig auf das andere Stück drückt. Um die Klammer geschlossen zu halten ist sie von einem Vierkantrohrstück umgeben, das ebenfalls aus PET geformt wurde und mit Duct-Tape zusammengehalten wird. Es ist an gegenüberliegenden Seiten mit einer stabilen Schnur verbunden. Wenn man an der Schnur zieht, kann man schnell und mit wenig Kraft die Verbindung lösen. Bei Bodentests stellten sich diese Verbindungen als ausreichend dicht bis 7 bar heraus, aber im Flugbetrieb gab es gelegentlich schon deutliche Lecks ab 4 bar, wenn die Länge der Dichtung nicht genau stimmte und der Anpressdruck zu niedrig war. Letzterer ist einstellbar über die Position der Schlauchstücke auf den Ventilschäften und Erstere ist einstellbar mithilfe einer Schere oder mit Ersatz-Dichtungen, die zumindest schnell hergestellt sind und fast nix kosten.



Normaler Startablauf
Vor dem Start werden zunächst alle Tanks gleichzeitig aufgepumpt. Wenn der vorgesehene Flugdruck erreicht wurde muss mit einem ferngesteuerten Kommando der Versorgungsschlauch der zweiten Stufe (Kernstufe, in dem Fall: der Gleiter) abgetrennt werden (Core Umbilical Retraction oder CUR). Dadurch fällt der Druck im Schlauch schlagartig ab. Um zu verhindern, dass dadurch die erste Stufe Druck verliert muss das Einweg-Ventil vor der ersten Stufe geschlossen werden. Das geschieht automatisch und schnell genug durch den Druckabfall im Schlauch. Danach sollte der Druck in allen Raketenstufen konstant bleiben. Nun kann das Kommando zum Start (Unlock) gegeben werden. CUR und Unlock müssen möglichst schnell aufeinander folgen, da in dieser Zeit nur ein eingeschränkter Startabbruch möglich ist (siehe unten).

Startabbruch
Indem die Druckluft-Verbindung zwischen dem Einweg-Ventil und dem Schlauch zur ersten Stufe getrennt wird, wird der Druck aus allen Tanks der ersten Stufe abgelassen (Abort). Solange die Verbindung zur zweiten Stufe noch besteht und das Einweg-Ventil offen ist wird durch diese Maßnahme ebenfalls der Druck aus der zweiten Stufe abgelassen. Das Abort-Kommando sollte also möglichst vor dem CUR-Kommando gegeben werden, da sonst der Druck der zweiten Stufe nur durch Auslösung der Stufentrennung bzw. des Starts (oder Fehlstarts) abgelassen werden könnte. Wenn der Grund für den Startabbruch ein Dichtigkeitsproblem in einer beliebigen Stufe ist und CUR noch nicht durchgeführt wurde, ist das Abort-Kommando nicht zwingend notwendig, da aus dem Leck mit der Zeit der Druck aus allen Tanks entweicht (Auto-Abort). Das ist möglich, weil das verwendete Einweg-Ventil erst ab einem bestimmten Druckunterschied schließt.

Remote Control Lines (RCLs)
Es gibt drei ferngesteuerte Kommandos, die durch Ziehen an je einer Schnur (sog. RCL) aus 10 Meter Entfernung gegeben werden: Abort, CUR und Unlock. Es werden sehr stabile Schnüre aus Polyamid verwendet, die im Baumarkt erhältlich sind.

Geändert von TR260 am 17. Mai 2016 um 02:55

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Beitrag 7638185 , Teil 2 [Alter Beitrag17. Mai 2016 um 20:06]

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Teil 2 - primäre Flugsysteme

Drucktanks
Die zweite Stufe (der Gleiter) verfügt über eine unveränderte 1 l Flasche. Die erste Stufe verfügt über zwei 2,4 l Tanks. Jeder Tank besteht aus vier Segmenten, die aus vier 1 l Flaschen geschnitten wurden. Im Unterschied zur verbreiteten SST-Bauweise, bei der zwischen je zwei Segmenten eine Muffe mit geschrumpften Rändern geschoben wird, habe ich auf Muffen verzichtet und stattdessen jedes Segment (bis auf das Endstück mit dem Flaschenhals) an einem Ende mit geschrumpftem Rand versehen. Dann wurden alle Segmente nacheinander aufeinander geschoben, sodass eine effektive Klebefläche mit mindestens 1 cm Breite resultierte. Diese Methode verwende ich erfolgreich seit 2005. Im Vergleich zu SST sind Tankreparaturen einfacher, da keine Muffen hergestellt werden müssen sondern in der Regel nur ein Segment ersetzt werden muss (bspw. wenn am Flaschenhals etwas abbricht).

Als Leim verwendete ich erstmals Ponal Konstruktions PUR, der ganz normal im Baumarkt erhältlich ist (angeblich soll der schlecht sein im Vergleich zu anderen PU-Leimen, hab ich irgendwo hier im Forum gelesen...). Zum Test klebte ich erst einen Tank aus nur zwei Segmenten, ließ ihn drei Tage aushärten und führte dann einen Drucktest bei vollständiger Füllung mit Wasser durch. Bis 14 bar war alles dicht (dann löste sich plötzlich eine Verbindung zwischen zwei Druckschläuchen, aber mit dem Tank gab es kein Problem). Ich habe vor, die neuen Tanks vorerst regelmäßig mit einem Flugdruck von 5 - 7 bar aufzupumpen, was sicher kein Problem sein sollte. Bei allen Flaschen kommt der volle Düsenquerschnitt von ca. 20 mm zum Einsatz.

Schubstruktur
Die erste Stufe, bestehend aus zwei Booster-Tanks, wird mit einer geschweißten Schubstruktur aus Stahl zusammengehalten. Hier sind zwei Blechstreifen (1,5 mm x 10 mm x 250 mm) über einen schmalen Blechstreifen in der Mitte verbunden, auf dem mittig eine Mutter angeschweißt ist. Die langen Streifen schließen einen Winkel ein, der etwa dem Öffnungswinkel eines Flaschenkonus entspricht. Die Mutter bildet das Gegenstück zur Schraube der Booster-Startkupplung. Zwischen die Blechstreifen werden an den Enden die Flaschen hineingeschoben. Damit die Flaschen nicht verrutschen, sind die Enden der Streifen mit einem kurzen Stück Fahrradschlauch festgezurrt. Dadurch sitzen die Flaschen so fest, dass beim Versuch, sie zu verdrehen Kratzer im PET entstehen. Um dies zu verhindern, sind die gefährdeten Stellen nahe des Flaschenhalses mit einer Lage Duct-Tape beklebt. Die Schubstruktur wiegt etwa 100 g. In Zukunft könnte durch Anschweißen weiterer Blechstreifen Platz für zwei weitere Flaschen geschaffen werden. Solch eine vierstrahlige Variante verwendete ich schon 2004 bis 2007 für zahlreiche Flüge.


Staging-System

Oben, mittig auf der Booster-Schubstruktur sitzt das Staging-System. Es beinhaltet eine Startkupplung für 20 mm Düsen mit zweiteiliger Launch Tube. Der untere Teil ist ein 16 mm Stahlrohr, das am unteren Ende zugeschweißt wurde und an dessen Seite ein dünneres Rohr angeschweißt wurde, an dem ein Stück Druckschlauch mit einem Autoventil angebracht wurde. An beiden Enden des Schlauchs sind Schlauchschellen angebracht. Auf das obere Ende des Stahlrohrs wurde ein PVC-Rohr geschoben (die optimale Länge muss noch gefunden werden, aber es sollte über den Wasserfüllstand hinausragen). Es ist gegen das Stahlrohr mit mehreren Lagen Teflonband abgedichtet. Zwischen Stahlrohr und Flaschenhals sitzt ein passender O-Ring (siehe Teil 1). Damit dieser beim Druckaufbau nicht einseitig nach unten rutscht, ist ein wenige mm breiter PET-Streifen rundherum mit Duct-Tape auf dem Stahlrohr aufgeklebt, der gerade so in den Flaschenhals passt, aber den O-Ring stoppt. Die Flasche der oberen Stufe wird bis zur Stufentrennung mit einer Klammer aus PET fest auf der Launch Tube gehalten. Die Klammer wurde aus einem Stück einer Flasche durch Verformung unter Hitze mithilfe eines Bügeleisens hergestellt.

Launch Tube, Flaschenhals und Klammer sitzen bis zur Stufentrennung in einem Kunststoffrohr, dessen Durchmesser so gewählt ist, dass die Klammer nicht aufgehen kann, aber ohne viel Reibung aus dem Rohr heraus geschoben werden kann. Das Rohr hat einer ausgeschnittenen Schlitz, durch den der Schlauch mit dem Autoventil ragt. Eine außen angebrachte Feder in Form eines PET-Streifens mit 1 cm Breite ragt durch diesen Schlitz ins Rohr und drückt Launch Tube und die gesamte Oberstufe nach oben aus dem Rohr heraus. Zusätzlich wird kurz vor dem Start als sekundäre Feder ein zweiter PET-Streifen lose in die Innenseite des ersten PET-Streifens geklemmt. Die resultierende Gesamt-Federkraft ist so bemessen, dass das Gewicht der vollgetankten Oberstufe gerade verhindert, dass die Launch Tube aus dem Rohr gedrückt wird. In diesem Zustand ist die Startkupplung der Oberstufe sicher verriegelt. Erst gegen Ende der Beschleunigungsphase der unteren Stufe oder im freien Fall wird die Federkraft nicht mehr durch die Gewichtskraft kompensiert, sodass die Startkupplung auslöst (Gravity Triggered Staging oder GTS). Dieses Prinzip verwende ich seit 2004 erfolgreich.

Es gibt zwei Probleme, die zu einer zu späten oder fehlgeschlagenen Stufentrennung führen können: Reibung und eine ungünstige Schrägstellung der Flasche der Oberstufe. Erstere kann zum Problem werden, wenn durch Abnutzung nach vielen Flügen Kratzer im Kunststoff entstehen. Öl schafft hier Abhilfe. Letztere kann durch ein Zusatzteil verhindert werden, was leider nicht im Bild zu sehen ist, weil es beim letzten Flug davon geflogen ist (ein ausgeschnittenes Stück aus einer PET-Flasche, etwa Handteller-groß, das in das äußere Rohr gesteckt wird, bevor die Flasche auf die Launch Tube gesteckt wird). Ansonsten ist die Technik sehr zuverlässig. Das GTS wird nach der Betankung der Oberstufe erst auf diese montiert. Dann wird die Oberstufe mitsamt GTS auf die Schubstruktur der unteren Stufe gestellt. Damit das GTS nicht nach der Stufentrennung davonfliegt, wird es noch irgendwie an die Schubstruktur angebunden/angeschnallt.
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Beitrag 7638202 , Teil 3 [Alter Beitrag21. Mai 2016 um 02:16]

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Teil 3 - sekundäre Flugsysteme

Booster Recovery
Es gibt zwei Rundkappen-Hauptschirme mit 90 cm Durchmesser. Sie bestehen aus der Bespannung von Regenschirmen und Polyamid-Schnüren, die an die acht Ecken der Bespannung geknotet wurden. Die im Baumarkt erhältlichen Schüre bestehen aus eigtlich aus drei miteinander verdrillten dünneren Schüren, die ich jedoch auseinander entdrillt habe, da ich nur die dünneren Schnüre verwenden wollte. Sie wurden durch eine PET-Scheibe mit acht Löchern geführt (damit sich die Fallschirmleinen nicht miteinander verdrillen oder verwurschteln) und anschließend am Ende miteinander verknotet. Dieser verknotete End-Abschnitt wurd mit einer unveränderten, starken Polyamid-Schnur verknotet, die als Fangleine dient. Ihr anderes Ende ist an der Booster-Schubstruktur angebunden. In der Mitte des Hauptschirms ist ein kleines Loch, durch das ein Gummizug geführt wurde, dessen Ende an eine Pappscheibe geklebt wurde. Am anderen Ende ist der Vorschirm angebunden. Dieser ist aus einer Plastiktüte hergestellt. Die Form entspricht weniger einer Rundkappe sondern mehr einem Kegel. An vier Punkten sind Fallschirmleinen befestigt, die aus abgeschnittenen Streifen der Plastiktüte bestehen.

Jeder Booster verfügt über eine Fallschirmkammer auf seiner Oberseite. Dort werden je ein Haupt- und ein Vorschirm gemeinsam untergebracht. Die Kammer besteht aus dünner Pappe und Duct-Tape. Sie verfügt über eine Tür, die sich seitlich öffnet. An der Tür und an der feststehen Wand der Kammer sind Pappröhrchen angeklebt, durch die zum Verschluss ein Drahtstift gesteckt wird. Bei der Stufentrennung wird dieser nach oben herausgezogen, sodass die Booster-Fallschirme ausgeworfen werden (bei etwa 20 m/s). Eine sichere Bergung ist mit einem geöffneten Hauptschirm möglich.


Booster-Gleiter-Befestigung
Das Gewicht des Gleiters lastet auf dem GTS und damit auf der Booster-Schubstruktur. Seitliche Kräfte werden über schnell lösbare Befestigungen zwischen den Boostern und dem Rumpf und Flügel des Gleiters übertragen. Am vorderen Ende des Rumpfs, kurz hinter der Spitze, ist auf Steuerbord- und Backbord-Seite je ein Pappröhrchen angeklebt. Dort wird ein Drahtstift durchgesteckt, der auch der Verriegelung der Booster-Fallschirmkammer dient. Am vorderen Ende des Stifts ist ein Stück Duct-Tape angeklebt.

Im unteren Bereich des Flügels ist auf Steuerbord- und Backbord-Seite je ein Stück eines Kunststoff-Trinkhalms angeklebt. Am untersten Segment jedes Boosters ist als Gegenstück dazu je ein Trinkhalm-Stück über eine Dreikant-Pappkonstruktion befestigt. Zur Verriegelung der Befestigung wird ein Zahnstocher durch die zusammenpassenden Trinkhalm-Stücke gesteckt. Damit der Zahnstocher vor dem Start nicht herausfällt ist an ihm noch ein kleines Stück Duct-Tape dran. Beim Start oder der Stufentrennung kann ein Zahnstocher brechen, aber die Dinger sind ja leicht zu ersetzen.


Aerodynamik des Gleiters
Der Gleiter verfügt über einen Doppel-Deltaflügel aus Wellpappe. Er besteht aus vier Teilen, die mit Duct-Tape zusammengeklebt sind. Die Flügelvorderkanten sind mit dem Tape so umklebt, dass sie möglichst rund sind. Kritisch wichtig für die Biegefestigkeit ist, dass die langen Kanäle der Wellpappe quer zum Rumpf verlaufen. Die Spannweite beträgt etwa 67 cm (mehr geht mit diesem Material nicht. Bei einem Vorgängermodell mit 1 Meter Spannweite bildete sich bei während des Fluges ein Knick, der nicht mehr zu reparieren war). Der Flügel ist flach, Ober- und Unterseite sehen gleich aus, damit bei neutral eingestelltem Höhenleitwerk und Null Anstellwinkel kein Auftrieb entsteht, sodass ein vertikaler Aufstieg möglich ist. Der Schwerpunkt liegt wenige cm vor dem aerodynamischen Zentrum. Momentan gibt es nur eine bewegliche Kontrollfläche, den Elevator. Er ist an der Hinterkante des Flügels montiert und erstreckt sich bis auf wenige cm auf die volle Spannweite des Flügels. Er ist nur an der Oberseite mit Tape am Flügel befestigt, sodass er leicht bewegt werden kann.

Auf der Oberseite des Flügels ist der Rumpf montiert. Er besteht aus Raketentank, Payload Bay und Spitze. Der Tank ist - wie die anderen Teile auch - mit Duct-Tape aufgeklebt. Auf dem Tank ist der vertikale Stabilisator aus Wellpappe aufgeklebt. Damit er nicht wackelt, ist zwischen ihm und dem Tank ein kleiner Winkel aus einem Blechstreifen angebracht. Da sich bei Wurf-Tests mit Modellen des Gleiters im halben Maßstab zeigte, dass die laterale Stabilität trotz Stabilisator zu schlecht war, wurden an den Flügelenden Finnen aus dünner Pappe angebracht. Aus Platzgründen hätte man den vertikalen Stabilisator weder vergrößern, noch weiter hinten montieren können (sonst wäre er der Startrampe in die Quere gekommen).

Die Spitze besteht aus Papier, einzelnen Teilen aus dünner Papper und Duct Tape. Sie ist innen hohl und soll bei weniger sanften Landungen als Knautschzone dienen. Wie man anhand der Photos erahnen kann, war die erste Landung nicht besonders sanft (Es ist kein ernsthafter Schaden entstanden) Dafür war die zweite perfekt und hat keine neuen Spuren hinterlassen.

Payload Bay
Die Payload Bay besteht aus Wellpappe, nur die Türen sind aus einfacher, dünner Pappe. Sie ist 65 mm breit und 80 mm hoch. Es gibt einen hinteren Abschnitt, der 160 mm lang ist und einen vorderen Abschnitt, der 150 mm lang ist. Damit der Schwerpunkt an der richtigen Stelle ist, muss in der vorderen Payload Bay eine Nutzlast oder Ballast von ca. 170 g untergebracht sein. Die hintere Payload Bay beherbergt den Timer und Aktuator. An den Türen sind abwechselnd Trinkhalm-Stücke angeklebt, durch die zur Verriegelung der Payload Bay ein Draht bzw. ein Leichtmetall-Teil eines ehemaligen Regenschirms geschoben wird.


Aktuator
Eine Vorgänger-Version des Gleiters verwendete eine PET-Feder mit einem Hebelsystem um genug Kraft zum Betätigen des Elevators aufzubringen. Diese Variante wog nur etwa 50 g oder weniger. Stattdessen verwende ich nun einen DC-Motor, der grad in der Gegend herumlag und 100 g schwer ist. Auf seiner Welle sitzt ein Riemenrad mit einigen mm Durchmesser. Es ist über ein Gummiband mit einer 3D-gedruckten Riemenscheibe mit 52 mm Durchmesser verbunden. Auf dessen Welle (Stahlstift, mit Heißkleber an die Riemenscheibe montiert) wird mit der Kraft des Motors eine Schnur aufgewickelt, die an zwei längeren Schnüren befestigt ist, die am Elevator ziehen, um ihn nach oben anzuwinkeln. Bei den Schüren handelt es sich um Angelschnur aus Polyamid. Die Lagerung der Welle des großen Rads ist ein Provisorium aus einem aufgeschnittenen und zusammengerollten Trinkhalm-Stück. Die Reibung ist überraschend gering.

Die beiden Schnüre zum Elevator verlaufen durch Trinkhalme, die am Tank entlang aufgeklebt sind. Falls eine Schnur aus irgendeinem Grund reißt oder sich vom Elevator löst, reicht die andere aus, um den Zweck zu erfüllen.

Geändert von TR260 am 21. Mai 2016 um 03:02

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Beitrag 7638206 [Alter Beitrag21. Mai 2016 um 02:31]

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Timer
Eine Vorgänger-Version des Gleiters verwendete einen Tomy-Timer, doch nun hab ich einen einfachen elektronischen Timer entwickelt, der im Gegensatz zum Tomy-Timer einfach nachgebaut und ersetzt werden kann:

Bauteile im Schaltplan:
C1: 10µ Elko
R1: 100K
R2: 25K Poti, auf 10K plusminus einige KOhm eingestellt
R3: Poti oder fester Widerstand, 200K
Q1, Q3: npn Kleinleistungstransistor
Q2: pnp Kleinleistungstransistor

Mit R2 wird die Zeit eingestellt, nach welcher der Timer auslöst (höherer Widerstand => kürzere Zeit). Der Poti kann durch ein Loch im Gehäuse mit einem Schraubendreher eingestellt werden. Nach der Auslösung fließt durch Q3 ein Strom, mit dem ein Motor betrieben werden kann - aber nicht mehr als 100 mA, sonst brennt der Transistor durch. (Für höhere Ströme, z.B. um einen Draht zum Durchbrennen zu bringen, was 1-2 A sein können, kann man eine Schaltung mit einem Mosfet verwenden - kostet etwas mehr, und man muss darauf achten, dass die Spannung der Batterie unter Last nicht zu sehr absinkt, sonst bildet sich im Mosfet kein ausreichend leitfähiger Kanal...) Als Stromversorgung wird ein 9 Volt Block verwendet.

Es gibt zwei Schalter: derjenige links im Bild verbindet die Batterie mit den Punkten "Supply" (+9 V) und "GND" (geschlossen in Stellung "Arm"). In der Stellung "Safe" läuft der Timer nicht, es fließt kein Strom durch die zu schaltende Last, aber der Timer wird nicht zurückgesetzt. Der rechte Schalter verbindet die einzuschaltende Last mit den Punkten "Out" (+) und "GND" (geschlossen in Stellung "Fly", offen in "Test"). Rechts ist noch eine LED montiert, die in einem Röhrchen steckt, dass schräg nach oben zeigt (zur besseren Sichtbarkeit bei Tageslicht). Sie ist über einen Vorwiderstand an "Out" und "GND" angeschlossen. Die Last wird nur im Modus "Fly" geschaltet. Die LED leuchtet im Modus "Fly" und im Modus "Test" auf, wenn der Timer die eingestellte Zeit erreicht hat. Wenn die Punkte "Reset" und "Supply" verbunden werden, wird der Timer zurückgesetzt. Dafür gibt es zwei Schalter, die an der Außenseite des Flugkörpers zugänglich sind.

Der Schalter oben im Bild (Liftoff-Schalter) besteht aus zwei losen Drahtenden auf der Oberseite des Tanks. Vor dem Start wird dort ein Draht mit Tesafilm befestigt, der den Kontakt schließt. In diesem Zustand ist der Timer zurückgesetzt, auch wenn der Timer mit dem anderen Schalter (siehe oben) scharfgeschaltet wurde. Hierfür reicht auch eine sehr schlechte bzw. hochohmige Verbindung völlig aus. Ob der Kontakt wirklich besteht kann vor dem Flug überprüft werden, indem man den Timer scharf stellt und im Test-Modus schaut, ob die LED aufleuchtet (was sie nicht tun sollte). Der Draht ist über ein stabiles Band aus Duct-Tape mechanisch mit der Startrampe verbunden, sodass er beim Abheben vom Flugkörper heruntergerissen wird. Dadurch wird der Timer gestartet. Falls das System versagt, wird der Timer vorzeitig gestartet. Es kann nicht derart versagen, dass der Timer zu spät oder gar nicht gestartet wird.

In diesem Bild ist der andere Reset-Schalter zu sehen (Feedback-Schalter). Er besteht aus einem kleinen Blechstreifen aus Kupfer, angebracht am Flügel, und einem dick verzinnten Drahtende, angebracht am Elevator. Wenn ein bestimmter Anstellwinkel des Elevators erreicht wird (einstellbar durch Biegen des Blechs) wird der Schalter geschlossen. Dadurch wird der Timer zurückgesetzt und der Motor gestoppt. Die aerodynamischen Kräfte reichen bei einer typischen Flugbahn nicht aus, um den Elevator wieder zurück Richtung neutrale Lage zu drehen, also bleibt sein Anstellwinkel bestehen.

Timer, Aktuator und Batterie haben ein gemeinsames Gehäuse aus Wellpappe. Diese ganze Einheit wiegt 200 g.

So, ich glaube, das war alles.
AchimO

Poseidon

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Beitrag 7638213 [Alter Beitrag24. Mai 2016 um 00:04]

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Was Du da alles an Aufwand und vor allem auch an Ausdauer in dieses Projekt gesteckt hast, kann man nur bewundern ...
Gruß Achim

laminare necesse est!

Im übrigen bin ich der Meinung, dass die Raketenvereine einem Verband beitreten sollten!
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Beitrag 7638215 [Alter Beitrag24. Mai 2016 um 00:37]

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Zitat:
Original geschrieben von AchimO

Was Du da alles an Aufwand und vor allem auch an Ausdauer in dieses Projekt gesteckt hast, kann man nur bewundern ...
Gruß Achim




Danke für die Blumensmile Aber ich hab eigtl. gerade versucht, den Aufwand so klein wie möglich zu halten (Stichwort Duct-Tape und Pappe...). Das Projekt läuft seit über nem halben Jahr, wobei ich immer wieder was mache, aber es sind sehr große Pausen dazwischen. Und ohne die Erfahrung aus früheren Projekten ginge das wahrscheinlich gar nicht. Das einzige, was ich hier wirklich neu gemacht habe, ist hauptsächlich der Gleiter mit Deltaflügel. Raketentechnisch ist sonst alles schonmal so oder so ähnlich vor Jahren da gewesen.

Gruß, Karsten
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