Ich meine seit einiger Zeit einen Trend beobachten zu können der da heißt: "Nieder mit Verschwörungstheorien". Prominentestes Opfer dieser Säuberungswelle wurde John F. Kennedy (richtig, der mit der Mondrede). So vor zwei Jahren ungefähr hieß es plötzlich mit Nachdruck: Der Warren Report hat doch recht, vor allem aber: Oswald war der alleinige Schütze, alles klar, alles erwiesen.
Da staunte ich. Und noch mehr, als ich neulich den Fernsehbericht eines (deutschen!) Journalisten sah, der die endgültige Wahrheit aufgedeckt haben will: Fidel Castro steckte hinter Oswald! Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine Verschwörungstheorie soll beweisen helfen, daß eine andere Verschwörungstheorie nicht stimmt.
Es hat mich nicht überrascht, daß dieser deutsche Aufklärungsjournalist es sorgfältig vermied, die schwachen Punkte seiner Theorie selber anzusprechen. Beispielsweise die "Zauberkugel". Oder die eminent schnelle Schußfolge, die angeblich selbst von trainierten Schützen nie erreicht werden konnte. Und sehr vieles mehr.
Er hat eines sicher erreicht: noch mehr Verwirrung beim Publikum zu stiften. Und womöglich liegt genau darin das eigentliche Ziel. Wem nützt es? Ein ziemlich unverdächtiger Zeitgenosse, der Ex-General und einstige US Präsident Eisenhower verblüffte seine Landsleute am Ende seiner Amtszeit mit einer Rede, in der er vor dem militärisch-industriellen Komplex warnte, der als Folge des Zweiten Weltkrieges durch eine allzu enge und viel zu wenig kontrollierte Vermischung aus Militär, Industrie und Kapital entstanden war. Dieser militärisch-industriellen Komplex könne zu einer ernsten Gefahr für die Demokratie werden, warnte der scheidende Päsident. Für die damalige Zeit- der Kalte Krieg auf einem Höhepunkt- war das eine ungeheuerliche Aussage.
Betrachtet man allerdings die amerikanische Geschichte seither, so stellt sich das ungute Gefühl ein, der alte Ike könnte recht haben.
Eisenhowers direkter Nachfolger war- John F. Kennedy. Man kann ihm vieles nachsagen, aber ein Mitglied des "militärisch-industriellen Komplexes" war er nicht. Vielleicht trug das dazu bei, seine Lebenserwartung zu verkürzen. Es gibt nicht wenige Leute in Amerika und außerhalb, die den Mord an Kennedy für einen verdeckten Staatsstreich halten. Und gleichzeitig für das Ende jenes Amerika, das wir -je nach Lebensalter- als Kinder noch bewunderten. Denn kaum war Kennedy weg, begann Nachfolger Johnson mit vollem Einsatz den amerikanischen Teil des Vietnamkrieges- mit fatalen Folgen, auch für den moralischen Führungsanspruch der USA.
Fatale Folgen? Nicht für alle! Neben einer Million toter Vietnamesen und 55000 toten US Soldaten gab es auch Leute, die sich vor Freude die Hände reiben konnten, so haben sie sich an diesem Krieg dusslig verdient. Oder ihr politisches Süppchen gekocht. Richtig, ich spreche nach wie vor vom "militärisch-industriellen Komplex".
Was ist richtig und falsch? Wenn ich das wüßte, würde ich jede Woche den Lotto Jackpot abräumen. Aber machen wir mal gemeinsam ein kleines Gedankenexperiment. Angenommen, ich selbst wäre hochrangiges Mitglied des "MIK". Was würde ich da tun?
Ich würde als Regel Nummer 1 festlegen: Niemals darf man unser Treiben hieb- und stichfest beweisen können. Niemals so unwiderlegbar wie die Folterbilder im irak. Denn es könnte einen Volksaufstand auslösen, wenn die Leute begreifen würden, wofür man ihre Kinder alle Jahre wieder im x. amerikanischen Krieg verheizt. Und dann wäre es vorbei mit Ruhm und Geld.
Als nächstes wäre mir natürlich klar, daß es immer wieder Gerüchte geben würde. Überläufer, die öffentlich auspacken. Wie kann ich die entkräften? Am besten durch soviele Lügen, daß am Ende garkeiner mehr durchblickt. Wie stellt man das an? Ich würde aus der Portokasse und mit ein wenig Einfluß dafür sorgen, daß möglichst krude Verschwörungstheorien in Umlauf kommen. Nicht nur politische, nein, flächendeckend. Je mehr Schund, desto besser. Am besten so peinlich, daß intelligente Leute rot werden, wenn sie das Zeug lesen. Sodann würde ich, richtig dosiert, durch "besonnene Stimmen" vor den Verschwörungstheorien ganz allgemein warnen lassen.
Wer direkt auf meiner Lohnliste steht und wer nicht- egal, das verselbständigt sich rasch, die Leute haben nun mal Lust, über solche Theorien zu grübeln. Wenn dann einer auftaucht, der die blanke Wahrheit predigt, so geht er im Morast der Verschwörungstheorie einfach unter. Wenn er meine Machenschaften anprangert, so liest sich das automatisch so ähnlich wie Fidel Castro und Oswald, oder wie Nessie, oder wie die Schöpfer des Marsgesichtes.
So stehen wir am Ende vor einem überraschenden Paradoxon: Beide, der überzogene Verschwörungstheoretiker wie sein Kumpel im Geiste, der Alles-wörtlich-Nehmer, beide besorgen das Geschäft derer, die wirklich etwas zu verbergen haben.
Geändert von FabianH am 21. Februar 2006 um 23:47